Remi Berghman, geboren am 15. Januar 1924 im westflämischen Geluwe, bei Roeselare (Belgien) wird am 6. Augustus 1944 in seiner Wohnung festgenommen. Von hier bringt man ihn nach Roeselare und anschließend nach Brüssel.
Zusammen mit vielen anderen wird er zu Fuß zum Bahnhof Schaarbeek gebracht. Dort besteigen sie den Zug, der sie auf Umwegen nach Kahla bringt.
Remi hat seine Erlebnisse Tag für Tag in einem Tagebuch festgehalten. Dieses Tagebuch umfasst 101 Seiten und ist sehr detailliert und aufschlussreich verfasst. Unserem Verein wurde nun dieses geschichtlich wertvolle Dokument übergeben.
Einige Auszüge daraus möchten wir hier veröffentlichen.
Remi schreibt…
Ich wurden am Sonntag, den 6. August 1944, um vier Uhr nachmittags festgenommen. Dann kam ich in Roeselare an, wo ich und andere im Seminar der Katholischen Kirche eingesperrt wurden. Entkommen konnten wir nicht. Am Montag kam meine Schwester und brachte mir zu Essen.
Dann ein kurzer Besuch beim Arzt, die uns für den Arbeitseinsatz in Deutschland für tauglich erklärt.
Dann ging es mit dem Auto nach Brüssel, bis zur Gendarmeriekaserne von Etterbeek. Unter schwerer Bewachung gehen wir von hier zu Fuß, an einem sehr warmen Tag, zum Bahnhof von Schaarbeek. Unterwegs singen wir unsere Nationalhymne und man jubelt uns von der Bevölkerung zu. Im Bahnhof gibt uns das belgische Rote Kreuz und Essen, Zigaretten und Getränke für die anstehende Reise.
Unser Reiseweg geht von Brüssel nach Leuven, über Lüttich, Maastricht, Herzogenrath, Mönchengladbach, Wuppertal, Hagen, Kassel, Eisenach, Gotha, Erfurt, Weimar, Jena bis nach Kahla.
Endlich in Kahla angekommen, müssen wir unsere Koffer stehen lassen und zu Fuß weiter gehen. Ich bin todmüde. Es ist sehr warm geworden. Endlich kommen wir im Lager an, dass erst halbfertig ist.
Die ersten Stunden waren eine bittere Enttäuschung… mit 40 Mann in einem Zimmer, die Baracke nicht fertiggestellt, kein Licht, keine Schränke, Tische oder Stühle. Kein Trinkwasser, keine Toilette, keine Küche, nichts…
Gegen Abend kommen unsere Koffer, vieles ist gestohlen worden.
Es ist September, die ersten Briefe kommen aus Belgien an und jeden Tag schauen wir voller Erwartung auf die Liste, die im Lager ausgehangen wird und hoffen, dass Post für uns da ist.
Am 9. September bekomme ich das erste Mal ein kleines Paket von zuhause. Ich bin so froh, weil es Tabak enthält. Ich weiß nun auch, dass meine ersten Briefe gut angekommen sind.
Belgien wurde inzwischen befreit, eine moralische Unterstützung für die Belgier im Lager E. Die Tage gehen vorbei und die Arbeiten, auf der Baustelle „REIMAHG“ in vollem Tempo weiter.
„Am 18. September fahren wir mit 10 Mann der Lagerkolonne von Kahla nach Hermsdorf. Dort sollen wir Baracken abbauen, um sie später im Lager wiederaufzubauen. Das Leben dort im Lager ist viel besser, mit guter Verpflegung. Ich darf auch in die Stadt, um die Verpflegung abzuholen. So gehen die Wochen vorbei, bis Allerheiligen. Dann gehen wir zurück nach Eichenberg.
Das Wetter wird schlechter und überall ist Schlamm. Wir gehen zum Berg, kommen an einem Lager vorbei, in dem Häftlinge sind. Kaum bekleidet, die Haare abgeschnitten, sie bekommen ständig Schläge. Ich kann es nicht mit ansehen…
Meine Gedanken sind bei meiner Familie. Am 12. November fällt der erste Schnee. Am nächsten Tag zeigt sich die Landschaft von ihrer schönsten Seite und trotz Krieg, strahlt uns in dem Moment irgendwie der Frieden entgegen…
Es schneit weiter. Die Stimmung ist niedergedrückt, weil zwei Kameraden im Lager gestorben sind. Ihnen zum Gedenken, singen wir abends ein Lied.
Die Tage gehen langsam vorbei, es wird immer kälter. Am Sonntag müssen wir wieder alle zur Arbeit, diesmal auf dem Berg an der Piste. Dort ist ein totales Durcheinander und keiner weiß was gemacht werden soll. Unser Lagerführer sagt, dass wir am nächsten Tag erneut dort arbeiten müssen. Singend gehen wir zurück zum Lager.
Am Sonntag, den 10 November, wird das Lager gründlich gereinigt.
Ab Mitte Dezember 1944 wird der Ausgang aus dem Lager verboten. Vorher durften einige der Zwangsarbeiter das Lager verlassen, um bei Bauern für eine Extraration Essen zu arbeiten. Das fällt nun vollständig weg und die Sterberate im Lager steigt.
Diese Morgen erneut zwei Toten. Ein Italiener, der im nächsten Zimmer wohnte, stirbt am Nachmittag. Wir besorgen uns einen Tannenbaum und stellen diesen im Zimmer auf, somit kommt doch ein wenig Weihnachtsstimmung auf. Die Tage gehen vorbei und den ersten Tag von 1945 danke ich Gott, dass es mir noch gut geht, trotz der schwierigen Umstände. Auch die Arbeit geht weiter, wir erhalten auch eine Werksmarke, die wir auf unsere Jacke stecken müssen. Wenn wir sie verlieren, kostet uns das 25 Reichsmark. Wir bekommen einen neuen Lagerführer. Trotzdem sterben die Leute…
Wir erfahren von der Lagerleitung das die Rote Armee in Deutschland steht.
Mitte Januar 1945 wird Lager E neu strukturiert, infolgedessen Belgier, Holländer und Franzosen zusammengelegt werden.
Am 30. Januar kommt Gauleiter Sauckel in die Stollen und hält eine Rede. Überall im Lager ist Wasser und Schlamm. Die Lagerkolonne wird teilweise mit weniger Leuten besetzt. Ich darf bleiben. Es gibt Eifersucht, aber da kann ich nicht viel machen. Jeder steht für sich selbst.
Am 4. Februar gibt es im Lager einen Boxwettstreit. Ein Belgier, Weltmeister in seiner Klasse, siegt über einen Franzosen. Wir sehen nun immer mehr alliierte Tiefflieger und Bomber in der Luft. Die Deutschen scheinen zu ahnen, was bevorsteht. Wir müssen nach Bad Berka gehen, um Material zu holen. Über Reinstädt, Lengefeld und Blankenhain geht die Fahrt langsam voran. Wir sind erst abends wieder im Lager.
Wir bekommen eine Impfung gegen Typhus. Ein Kamerad, Gerard, stirbt.
Am 21. Februar 1945 startet die erste Me 262 von der Walpersberg.
Am Nachmittag startete das erste deutsche Flugzeug vom Berg. Ein Jäger, mit zwei Motoren. Ich frage mich ob dies noch was ändern wird. Wir müssen uns beim Lagerführer melden. In einer Ecke des Lagers liegt ein Toter, ein Italiener. Er wurde erschossen, weil er Kartoffeln gestohlen hat. Es fliegen immer mehr Flieger über uns, manchmal sehr tief. Wir gewöhnen uns an die täglichen Luftalarme. Es ist wieder bitter kalt geworden. Ständig fällt Schnee. Wir bekommen wieder einen neuen Lagerführer.
Es gibt immer mehr Tote im Lager… Der Typhus schleicht durchs Lager. Ich werde auch krank und habe Bauchschmerzen. Nach einigen Tagen geht es mir besser. Wir putzen erneut das gesamte Lager.
Die Tage werden länger und ist wird wärmer. Wir hoffen alle, dass der Krieg endlich vorbei ist.
Die Toten begraben wir nun auf einem Berg, oberhalb des Lagers. Ohne Holzsarg, wie Tiere. Heute sind wieder neun Leute gestorben. Ich bete für alle die mir am Herzen liegen.
April 1945. Der alliierte Vormarsch in Thüringen beginnt.
Überall sehen wir Truppen vorbeiziehen. Am 4. April kommt die Nachricht, dass die Arbeit am Walpersberg stillgelegt wird. Unterlagen werden verbrannt und die meisten Deutschen sind bereits weg. Aus anderen Lagern kommen Menschen zu uns. Die Baracken sind überfüllt.
Wir sollen uns am nächsten Tag für einen Marsch Richtung Pößneck bereit machen. Wir entscheiden uns, uns zu verstecken. Wir hören bereits die Kanonen in der Ferne.
Am 12. April ist die amerikanische Armee in Kahla. Die „REIMAHG“ wird besetzt und die Lager befreit.
Um 11 Uhr werden wir geweckt. Amerikanische Panzer sind in Kahla. Wir hören Schüsse und Kanonen. Es dauert noch eine Weile, aber auf einmal erscheinen fünf U.S. Panzerwagen im Lager. Wir freuen uns sehr. Ich muss gleich beim Bürgermeister die Befehle der Amerikaner übersetzen, die besagen, dass alle Waffen abzugeben sind. Überall im Dorf hängen weiße Fahnen. Alles wovon wir geträumt haben, bekommen wir von den Soldaten… Zigaretten, Süßwaren, Fleisch…
Einige Tage später erscheinen LKW’s die uns abholen. Wir fahren Richtung Eisenach, übernachten dort und dann fahren wir quer durch Deutschland. In Mainz stehen wir am Rhein, um uns herum ist alles zerstört.
Wir fahren mit dem Zug weiter und kommen in Luxembourg an. Vor dort fahren wir weiter und kommen endlich nach Belgien. Wir sind außer uns vor Freude. In einer Kaserne bei Namur, werden wir kurz festgehalten. Wir bekommen neue Papiere, haben eine ärztliche Untersuchung und eine Kontrolle durch die Polizei.
Am nächsten Tag schaffen wir es, den Zug nach Kortrijk zu nehmen. Bei unserer Ankunft, warten sehr viele Menschen auf uns. Alle fragen, wo wir herkommen, ob wir jemanden kennen. Die Mädels vom Roten Kreuz helfen uns durch die Menschenmenge. Endlich komme ich in Geluwe an. Meine Mutter ist noch nicht zuhause, aber dies dauert nicht lange.
Freunde und Bekannte kommen und fragen mich. Abends kann ich mich endlich waschen und mich von der Kleidung, die ich in Eichenberg trug, trennen. So endet meine Geschichte, am 22. April 1945.